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Loge Pyramidion, Mat. Nr. 135

Unter dem Zenit des Nordens (Norddeutschland)


Ein Pyramidion ist die obere Spitze einer ägyptischen Pyramide, ihr Schlussstein. Unsere Loge trägt diesen Namen.

Pyramidion der Pyramide von Amenemhat III.
(Pyramidion der Pyramide von Amenemhat III., Ägyptisches Museum Kairo, Foto: Robert Matthees, 2025.)

Die Loge Pyramidion setzt sich aus aktiven und erfahrenen Freimaurerinnen und Freimaurern aus unterschiedlichen Großlogen zusammen. Was uns eint, ist die Suche nach tiefen Ritualerlebnissen und Perspektiven zusätzlich zu den weiterführenden Graden, die wir sonst noch zelebrieren. Dies verbinden wir mit der Pflege der Tradition der ägyptischen Freimaurerriten, die vornehmlich im 19. Jahrhundert im Lichte von Zauberflöte und Napoleons Ägyptenexpedition entstanden sind.

Inhalt

1. Arbeiten im Memphis-Misraim-Ritus
2. Bijou unserer Loge
3. Annahme & Mitgliedschaft
4. Konstitution & Besuche
5. Unsere Grade
6. Geschichte Ägyptischer Systeme
7. Unsere Überzeugung




Arbeiten im Memphis-Misraim-Ritus

Bei unseren Treffen zelebrieren wir die Grade des Memphis-Misraim-Ritus. Es finden jährlich drei Arbeiten in Norddeutschland statt und mehrere Online-Gesprächsrunden. Die Gründer der Loge wurden in Frankreich, in den USA und in England in die höchsten Grade des Ritus initiiert, deren Traditionslinien sich bis Br. Giuseppe Garibaldi zurückverfolgen lassen.

In Deutschland brach die Memphis-Misraim-Tradition einst vornehmlich mit dem Tod von Br. Theodor Reuss (1923) ab. Es folgten noch kurze Phasen der weiteren Kommerzialisierung und Entfremdung von der ursprünglichen Ritualtradition (die hohen, weiterführenden Grade scheinen ohnehin nie wirklich in Deutschland bearbeitet worden zu sein). Diesen Phänomenen möchten wir entschieden entgegentreten und bringen die eigentliche Tradition erstmals in unsere Heimat.

Giuseppe Garibaldi, 1875
(Foto mit Signatur von Br. Giuseppe Garibaldi, 1875, Sammlung Br. Robert Matthees.)

Trotz der hohen Gradanzahl (34°-95°) begründet sich darauf keinerlei Vorrecht. Es gibt kein Höher und kein Weiter. Denn freimaurerische Erkenntnisstufen, richtig verstanden, sind immer nur Perspektiven. Und wir selbst stehen in diesem wunderbaren Psychodrama stets im Mittelpunkt.

Durch gemeinschaftliche Erfahrungen fördern wir die persönliche Erkenntnis, Harmonie im Herzen und das Hineinwachsen ins Weltganze.

Hinweis: Unsere Arbeiten stehen natürlich Brüdern und Schwestern offen, die in neueren 33°-Systemen der Ägyptischen Riten arbeiten, auch wenn wir die traditionellen Skala nutzen (im demokratischen Ansatz, ohne Hierophanie auf Lebenszeit). Es gilt die Entsprechung der Grade.




Bijou unserer Loge

Bijou der Loge Pyramidion, Metall

Das Bijou der Loge Pyramidion zeigt Winkelmaß und Zikel mit dem Symbol des allsehenden Auges über einer Pyramide. Denn das menschliche Auge sieht alles, außer sich selbst. Hierbei handelt es sich somit um ein Symbol der Ganzheit menschlicher Erkenntnis, auch der Erkenntnis ewiger Prinzipien. Für viele ist das allsehende Auge ebenso ein Symbol des Göttlichen.

Zu sehen ist außerdem (von links nach rechts) die Akazie für den Meistergrad (mit neun Blättern).

Das Rosenkreuz steht für den Chevalier Rose Croix (18° AASR).

Die drei Totenkopfe verkörpern ein wesentliches Element aus dem Kadosch-Grad (30° AASR). Einer von ihnen zeigt weniger Details, aufgrund der besonderen Umstände seines Endes.

Bei der Feder handelt es sich um die Feder der Maat, der altägyptischen Göttin für kosmische Harmonie, Wahrheit, Recht und Solidarität (Ordnung). Gegen diese Feder wird das menschliche Herz nach dem Tod gewogen, so die Vorstellung des ägyptischen Totengerichts.

Schließlich folgt das Lebens-Symbol Ankh, oft interpretiert als aufgehende Sonne über dem Horizont, darunter der lebensspendende Nil (somit auch eine Verbindung aller Elemente).

Kurz: Dargestellt auf dem Bijou unserer Loge sind zentrale Etappen aus der Vielfalt des freimaurerischen Weges im Memphis-Misraim-Ritus.




Annahme & Mitgliedschaft

Voraussetzung zur Annahme in der Loge ist die Mitgliedschaft in einem weiterführenden Gradsystem der Freimaurerei (besonders ab AASR 32°/33° bzw. Äquivalent aus anderem System). Ein vollständig gedecktes Arbeiten, bspw. unter Ordensnamen/Pseudonym in der Mitgliederliste, ist selbstverständlich möglich.

Bei Interesse kannst Du uns gerne schreiben und deine Motivation begründen, um auf die Warteliste zu kommen:

In unserer Loge finden keine Neuaufnahmen in die Freimaurerei statt.




Konstitution & Besuche

Wir arbeiten unter der Konstitution der G.L.M.M.M. International, einer Ausgründung aus der U.G.L.o.E. und den beiden britischen Frauen-Großlogen. Zu unserer Großloge gehören 135 Logen mit circa 2.600 Freimaurerinnen und Freimaurern weltweit. Viele unserer Logen arbeiten nach dem englischen Standardritual (Emulation), aber ebenso einige mit den Craft-Ritualen des Schottischen Ritus, mit dem Lauderdale-Ritual oder auch – wie wir – im Memphis-Misraim-Ritus.

Es bestehen circa 50 Besuchsabkommen zu Großlogen und Obersten Räten weltweit. Die G.L.M.M.M. International ist außerdem Mitglied der International Masonic Union CATENA, der International Federation of Grand Lodges and Grand Orients und der International Confederation of Supreme Councils of the 33rd Degree of the Ancient and Accepted Scottish Rite.

Sollte (noch) kein Besuchsabkommen bestehen: Wir lassen keinen Bruder, keine Schwester im Regen stehen, sofern ihr euch mit Zeichen, Wort und Griff des entsprechenden Grades ausweisen könnt und guten Herzens seid. 🌿🌹🕯️




Unsere Grade

Die Grade des Memphis-Misraim-Ritus bieten Perspektiven auf das mythologische und philosophische Kulturgut der Menschheit.

Pyramidenfest

Im Alten Ägypten wurde die Zeit nicht einfach linear verstanden, sondern hatte eine zyklische, regenerative Qualität. Jeder Tag, besonders jedes Fest, war ein rituelles Wieder-In-Gang-Setzen der Ordnung in der Welt. Das Jahr begann mit dem Einsetzen der Nilflut, die das Land wieder fruchtbar machte und das Leben zurückbrachte. Rituelles Geschehen holte dabei die Ursprungszeit, (altägypt.) zep tepi – die erste Zeit, den Anfang aller Dinge – wieder in die Gegenwart zurück und heilte, heiligte diese.

Das Pyramidenfest ist unser Stiftungsfest, basierend auf dem Memphis-Misraim-Ritual zur Lichteinbringung, das wir zum altägyptischen Jahresanfang feiern. Wir feiern hier im Lichte der soeben skizzierten Symbolik, indem wir eine Linie von der Memphis-Theologie (der erste Mythos einer Schöpfung durch das Wort / den Logos) bis zur griechisch-mystischen Tradition des Johannes-Evangeliums ziehen.

Weiser / Weise der Wahrheit (37°)

  • Thema: Suche nach Gleichgewicht
  • Inhalt: symbolisch-alchemistisch und voll antiker Philosophie
  • Ziel: Die Einheit von Körper und Geist und anderer Polaritäten begreifen

Ritter / Ritterin vom Roten Adler (38°)

  • Thema: Die Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und der Kampf gegen Verfall und Ungerechtigkeit; der rote Adler steht für königliche Würde, Erhebung und Sieg über Unrecht
  • Inhalt: Vergleich der Verwandtschaft alter Mysterienkulte
  • Betonung der Pflicht zur Aufopferung für die Prinzipien der Freiheit und Humanität

Hermetischer Philosoph / Philosophin (43°)

In diesem Grad wird der Aspirant / die Aspirantin ermutigt, die zwölf symbolischen Häuser der Sonne zu durchschreiten. Die Säulen werden als Sinnbilder von Leben und Tod begriffen, in deren Mitte wir unser Schicksal mit Stärke, Mut und Würde erfüllen müssen.

Weiser / Weise des Phönix (54°)

Das Thema der Regeneration wird rituell und poetisch in Szene gesetzt.

Weiser / Weise von Mithras (64°)

Dieser Grad befasst sich mit dem Mithraskult und dessen Symbolwelt.

Großkonsekrator/-in oder Großarchitekt/-in (66°)

Dieser Grad beinhaltet eine tiefe, geistige Weihe. Nur wenige Personen wurden und werden in diesen Grad initiiert, viele überspringen ihn einfach. Brüder und Schwestern in diesem Grad sind bspw. für die Gründung neuer Logen notwendig und haben eine Sonderstellung innerhalb des Ritus.

Übersetzer/-in der Hieroglypen oder Patriarch / Matriarchin der Isis (76°)

Hierbei handelt es sich um einen Grad voll ägyptischer Symbolik mit Bezug zum Mysterienkult von Isis und Osiris.

Arcana Arcanorum (87°–90°)

Diese vier Grade sind die geheimsten und mystischsten des Memphis-Misraim-Ritus. Sie bilden den initiatischen Höhepunkt und Kern des Ritus — der Abschluss unseres Lehrsystems.

  • 87°: Kosmische Schöpfung, vom Urzustand in die Vielfalt, vom Chaos zur Ordnung, Entfaltung des Makrokosmos (sehr neuplatonistisch, auch kabbalistisch)
  • 88°: Sehnsucht zur Einheit, tiefe Meditation im eigenen Mikrokosmos
  • 89°: die ganze Natur wird als lebendig, beschützend und als Einheit verstanden
  • 90°: Zwillingskräfte Isis und Osiris, Vereinigung von Mikrokosmos und Makrokosmos, der Freimaurer / die Freimaurerin begreift sich als lebendiger Tempel

95° General Groß Konservator/-in

Der Konservator / die Konservatorin soll das Licht und die Tradition der Mysterien für kommende Generationen sichern. Es findet eine feierliche Vereidigung im Gedenken an die Märtyrer des Denkens und der Freiheit statt, ganz im Sinne des Credos unseres Ritus: Friede den Menschen! Friede allen Wesen! Und: Einweihung ist kein Vorrecht, sondern Vermächtnis.




Geschichte Ägyptischer Systeme

Hier eine Übersicht einiger wesentlicher Schlüsselmomente:

Frühe Quellen (Antike)

Plutarch: De Iside et Osiride (ca. 1. Jh. / frühes 2. Jh.)

Plutarch liefert eine griechisch-philosophische Deutung ägyptischer Götter und Rituale. Diese Schrift ist die zentrale Quelle für das europäische Ägyptenbild.

Ruinen des Apollontempels in Delphi, wo Plutarch als Priester wirkte
(Ruinen des Apollontempels in Delphi, wo Plutarch ab dem Jahr 95 als Priester wirkte; Foto: Robert Matthees, 2025.)

Apuleius: Metamorphosen (ca. zweite Hälfte 2. Jh.)

In den Metamorphosen befindet sich eine sehr kurze Schilderung von einer Einweihung in die Isis-Mysterien. Dabei werde Elementproben beschrieben (inspiriert von Empedokles Vier-Elemente-Lehre) und eine Unterweltreise. Dies ist das Vorbild für viele spätere, initiatische Erzählungen, wie bspw. Sethos von Terrasson (1731).

Ich ging bis zur Grenzscheide zwischen Leben und Tod. Ich betrat Proserpinens [Göttin des Frühlings und der Unterwelt] Schwelle, und nachdem ich durch alle Elemente gefahren, kehrte ich wiederum zurück. Zur Zeit der tiefsten Mitternacht sah ich die Sonne in ihrem hellsten Lichte leuchten; ich schaute die unteren und oberen Götter von Angesicht zu Angesicht und betete sie in der Nähe an. (Apuleius von Madaura: Metamorphosen oder der Goldene Esel. Übersetzt von August Rode, 1920, Buch XI.)
 


Renaissance & Humanismus (15.-17. Jh.)

Corpus Hermeticum (Hermes Trismegistos, 15.-16. Jh. Übersetzungen)

Das Corpus Hermeticum beinhaltet eine Weisheitslehre, unter anderem in Form platonischer Philosophie, ägyptischer Religiosität und stoischer Ethik. Es bildet die wesentliche Grundlage für die spätere, esoterische Ägyptenrezeption.

F: Wen erkennt ihr als Vater der königlichen Kunst an?
A: Hermes Trismegistos.
F: Und als Brüder?
A: Alle Adepten.

(Aus dem Katechismus des Chevalier de la Toison d’Or von de Tschoudy.)
 


Frühaufklärung & Gegenaufklärung (18. Jh.)

Abbé Terrasson: Sethos (1731)

Der Roman Sethos von Terrasson erzählt in extrem fantasievoller Form das Geschehen bei ägyptischen Priester-Einweihungen (inspiriert von den kurzen Andeutungen in Apuleius Metamorphosen).

Landkarte in Sethos von Terrasson, 1731.
(Landkarte in Sethos von Terrasson, 1731.)

Wer diesen Weg allein und ohne hinter sich zu sehen thun wird, soll durch Feuer, Wasser und Lufft gereiniget werden und wo er das Schröcken des Todes uberwinden kan, soll er aus dem Schoosse der Erde herausgehen, das Licht wieder sehen und das Recht haben, seine Seele zu Offenbarung derer Geheimnisse der grossen Göttin Isis zuzubereiten. (Terrasson: Sethos. Übersetzung v. Wend, C. G., 1732, S. 149.)

Zuerst wird der Kandidat durch einen dunklen, engen Gang in das Innere der Pyramide geführt. Vorsichtig tastet er sich voran. Schreckliche Geräusche und Hindernisse begleiten seine Schritte. Dies symbolisiert den Abstieg in die Unterwelt, die Trennung von der Welt der Sinne. Dabei stürzt er auch in einen scheinbaren Abgrund, den er nicht sehen konnte. Der Neophyt stirbt symbolisch in der Dunkelheit der Erde (Erd-Probe).

Danach gelangt er zu einem unterirdischen Wasserbecken. Weit und tief muss er tauchen, um die andere Seite zu erreichen — für die Reinigung seiner Seele (Wasser-Probe).

In einem Schacht und hohen Raum spürt er nun heftige Luftzüge und Winde (Luft-Probe). Auch hier muss er Mut und Vertrauen beweisen, denn initiatorisch handelt es sich um die Begegnung mit dem Atem der Welt, um die Inspiration des Geistes.

Zuletzt muss er noch durch einen Gang voller Flammen und brennenden Substanzen schreiten. Durch einen optischen Trick wirkt es jedoch nur lebensgefährlich, ist aber eigentlich harmlos — sofern er ruhig bleibt, das Feuer nicht fürchtet.

Dergestalt geläutert erreicht er schließlich die Halle der Isis, wo er die Initiation erfährt. Der Neophyt erlebt eine Wiedergeburt im Licht, erblickt die Mitternachtssonne im Inneren der Erde, das Licht in der Dunkelheit — ein Motiv aus der ägyptischen Osiris-Mythologie, teils auch aus dem Johannes-Evangeluim und natürlich aus den Metamorphosen von Apuleius. So betritt er schließlich als Eingeweihter wieder die Welt.

Die Manuskripte von Br. Théodore-Henri de Tschoudy (Tschudi)

Br. de Tschoudy wird 1727 in Metz (Frankreich) geboren. 1750 geht er nach Neapel (Italien), wo er mit den freimaurerischen Hochgraden von und um Br. Großmeister Raimondo di Sangro in Kontakt kommt, die er beim Transkribieren vermutlich noch selbst erweitert. Besonders wegweisend wirken seine späteren Gedanken, bspw. zum Symbol des Flammenden Sterns, dessen Strahlen er mit den vier Elementen und der Quinta Essentia verbindet und den er im Sinne von Läuterung und innerem Feuer interpretiert. Seine Ideen und Schriften bilden später einige der Kernelemente des Ritus von Misraim.

Ruinen des Apollontempels in Delphi, wo Plutarch als Priester wirkte
(Br. Raimondo di Sangro, Großmeister der Neapolitanischen Freimaurerei, Gemälde von Francesco de Mura, ca. 1745-1755.)

Neben des Einflusses aus Neapel nimmt Br. de Tschoudy in seinem Buch auf Sethos direkt Bezug:

Ich könnte – indem ich die Sinne unserer Institution mit einem mystischen Glanz umhülle – Sie in jene sagenhaften Zeiten Ägyptens zurückversetzen, die Sethos so trefflich beschreibt: Sie würden sehen, dass die Einweihungen in die heiligen Mysterien der guten Göttin alle abgestuft und aufeinanderfolgend waren; dass die ersten Prüfungen etwas Kindisches an sich hatten, trotz des schreckenerregenden Aufwands, der sie begleitete; dass das Noviziat schließlich lang war und jede ihrer Zeremonien ein ernsteres Symbol verhüllte, dessen Rätsel sich erst nach langer Zeit enthüllte – als Lohn für Verschwiegenheit und Vertrauen. (de Tschoudy, T.-H.: L'etoile flamboyante ou la societe des francs-macons, 1766, S. 3/4.)

Für Br. de Tschoudy ist der Begriff Ägypten gleichbedeutend mit christlicher Hermetik, d.h. einem Weltbild aus der Renaissance, in welchem christliche Vorstellungen mit Ideen von Astrologie, Alchemie und Kabbala verbunden werden, mit einem großen Interesse an antiken Kulturen und paganen Mysterien (vgl. Ravignat 2021, S. 42). Heute greifen wir auf eine Vielzahl dieser ursprünglichen Motive vor allem symbolisch zurück.

Afrikanische Bauherren (spätestens 1760er, Gründung in Berlin)

Fast gleichzeitig bildet sich in Deutschland das System der Afrikanischen Bauherren. Es handelt sich hierbei um ein frühes freimaurerisches Hochgradsystem mit ägyptischer Symbolik und Konnotation (vgl. Schrödersche Ritualsammlung 9a/9b). Deutlich wird die Verbindung von Ägypten, Bauhütte und Initiation.

Der Roman Sethos wird im Ritual auf einer großen Tafel zu Beginn der Aufnahmehandlung fast wortwörtlich zitiert:

Wer diesen Weg alleine gehet, ohne hinter sich zu sehen, soll durch Luft, Feuer und Wasser gereiniget werden, und wo er die Schrecken des Todes überwinden kann, soll er aus dem Schooße der Erde wieder hervor gehen, und das Licht sehen und das Recht haben, seine Seele zu den wichtigsten Geheimnissen vorzubereiten. (Schröder, F. L.: Ritualsammlung 9a, 1805, S. 14.)

Crata Repoa, 1770
(Titelblatt der Crata Repoa, 1770, aus dem Umfeld der Afrikanischen Bauherren, eine fiktionale Schrift, in der Einweihungen in die Ägyptischen Mysterien beschrieben werden - wurde damals nicht als Fiktion gelesen.)

Ägyptische Freimaurerei von Br. Alessandro Cagliostro (ab ca. 1777)

Evtl. ist das System von Br. Cagliostro inspiriert von Erlebnissen um Saint-Germain, sicher ist es inspiriert durch Br. Chevalier Luigi d'Aquino, dessen Bruder in Neapel Großmeister war. Es handelt sich hierbei um frühe Grade mit teils sehr bunten und okkulten Interpretationen (die Hieroglyphen wurden noch lange nicht verstanden, Ägypten fungierte vielmehr als Projektionsfläche für eigene Vorstellungen).

Gelehrtenkreise und Logendiskurse

Ägyptische Symbolik gelangt zu dieser Zeit in Europa generell verstärkt in Gelehrtenkreise und Logendiskurse (Ägypten dient hier allgemein als Symbol für die ursprüngliche Weisheit). Ein schönes Beispiel ist die Pyramiden-Symbolik auf dem Freimaurerschurz von Br. Voltaire (links im Bild unten), der im hohen Alter von 84 Jahren am 4. April 1778 in die Freimaurerei aufgenommen worden ist. Die Legende besagt, dass Br. Voltaire beim Überreichen des reichlich verzierten Freimaurerschurzes so gerührt war, dass er ihn sogleich zu seinen Lippen führte und küsste.

Freimaurerschurz von Br. Voltaire
(Freimaurerschurz von Br. Voltaire; Foto G. Garitan, 2014, Musée de la Franc-Maçonnerie Paris, CC BY-SA 4.0.)

Die Forschungslogen von Br. Ignaz von Born (Wien, 1783–1785)

Br. Ignaz von Born lässt in seinen Forschungslogen in Wien antike Mysterien besprechen. Br. Mozart ist bspw. anwesend, als der Vortrag Über die Mysterien der Aegyptier in der Loge Zur wahren Eintracht gehalten wird (gedruckt in: Journal für Freymaurer; Nr. 1, 1784, S. 17-132). Ägypten wird hier oft im Rahmen einer doppelten Religion verstanden, das heißt einer Religion für das Volk und einer verborgenen Religion für Eingeweihte (letztere oft dargestellt als aufgeklärter Deismus im Sinne Spinozas).

Die Zauberflöte (Wien, 1791)

Die Uraufführung der Zauberflöte findet statt (Wien, 1791). Auch hierin wird die gleiche Stelle aus Sethos (wie bei den Afrikanischen Bauherren) nahezu wortwörtlich zitiert (Motive: Elementproben, Reisen).

Bühnenbild zur Zauberflöte, 2. Akt, Szene 28, von Karl Friedrich Schinkel, 1816, gedruckt 1847
(Schinkel, K. F.: Bühnenbild zur Zauberflöte, 2. Akt, Szene 28, 1816, gedruckt 1847.)

Der, welcher wandert diese Strasse voll Beschwerden, / Wird rein durch Feuer, Wasser, Luft und Erden; / Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann, / Schwingt er sich aus der Erde Himmel an. / Erleuchtet wird er dann im Stande seyn, / Sich den Mysterien der Isis ganz zu weih'n.
(Mozart, W. A.; Schikaneder, E.: Die Zauberflöte, 1791.)

Die Freimaureroper feiert riesige Erfolge, schon bald zieren Sphinxe & Co. so manche Logenhäuser (die Sphinx bewacht in der ägyptischen Mythologie den Eingang zum Heiligen).

Theaterzettel zur Uraufführung der Zauberflöte in Wien, 1791
(Theaterzettel zur Uraufführung der Zauberflöte in Wien, 1791.)
 


Schlüsselmomente & Verschmelzung (19. Jh.)

Uraufführung der Zauberflöte in Paris (20. August 1801) & Ende des Napoleonischen Ägyptenfeldzugs

In Paris wird Die Zauberflöte unter dem Titel Les Mystères d’Isis uraufgeführt. Gleichzeitig endet der Napoleonischen Ägyptenfeldzug. Umfangreiche Berichte & Publikationen folgen (bspw. die mehrbändigen und hervorragend bebilderten Ausgaben von Description de l'Égypte, 1809–1829). Dies führt zu einer neuen Blüte der Sethos-Imagination.

Elementproben in Freimaurerritualen

Ebenfalls genau zu dieser Zeit entstehen in Paris die Rituale für die ersten drei Grade des Schottischen Ritus. In diesen Ritualen werden die symbolischen Reisen bei der Aufnahme erstmals direkt mit Elementproben verbunden. Viele weitere Motive des damaligen Bildes antiker Mysterien werden eingeflochten, wie Höhlen oder Abgründe.

Diese Anklänge sind in stark abgeschwächter und umgedeuteter Form noch heute in vielen Ritualtraditionen zu finden. So zum Beispiel weiterhin im 1°-3° des Schottischen Ritus oder im deutschen A.F.u.A.M.v.D.-Standardritual. Im Letzteren wird sogar Isis und Osiris aus Br. Mozarts Oper gespielt. Die britische Ritualtradition enthält dagegen keine Elemente bei den Reisen oder ähnliches.

Kurz: Die Zauberflöte und Sethos wirkten stark inspirierend und führten zu manchen Neuerungen innerhalb der Freimaurerrituale.

Titelblatt der ersten Druckversion der Symbolischen Grade des Schottischen Ritus, 1820
(Titelblatt der ersten Druckversion der Symbolischen Grade des Schottischen Ritus, 1820, bereits mind. 15 Jahre zuvor von einigen Pariser Logen praktiziert.)

Ritus von Misraim (ca. 1805, Italien/Frankreich)

Der Ritus von Misraim wird von Veteranen des Napoleonischen Ägypten-Feldzugs gegründet und promotet. Besonders Br. Marc Bédarride ist hier zu nennen. Br. Bédarride wird 1803 mit seinem leiblichen Bruder Michel in Neapel in die Freimaurerei aufgenommen. Er steht somit in einer Tradition wie einst schon Br. de Tschoudy.

Br. Marc Bédarride in Misraim-Regalia
(Br. Marc Bédarride in Misraim-Regalia, gedruckt in: De l'ordre maçonnique de Misraïm, 1845.)

Der Misraim-Ritus hat initial 77 Grade, wird 1813 sogar auf 90 Grade erweitert (freimaurerisches Mysterienspiel war eben schon immer auch Entertainment).

Br. Bédarride nutzte für seinen Ritus den Namen der synkretisch jüdisch-ägyptischen Gestalt Misraim. In seiner Legende war Misraim Sohn des biblischen Ham, der in Ägypten sesshaft wurde und dort die Kunst der Freimaurerei mit ihren Mysterien perfektionierte (vgl. Bedarride, M.: De l'ordre maçonnique de Misraïm, 1845). Misraim (מִצְרַיִם) ist generell das hebräische, biblische Wort für Ägypten.

F: Welche Beziehung besteht zwischen der Freimaurerei und Ägypten?
A: Die Freimaurerei, das heißt das Wissen um die Wahrheiten der Natur und ihrer Gesetze, wurde in Ägypten von Weisen bewahrt, die sie vor dem gemeinen Volk verbargen, indem sie sie in kunstvolle Sinnbilder (Embleme) hüllten.

(Aus dem Original Misraim-Lehrlingskatechismus von Br. Marc Bédarride.)

Wir haben einige Elemente dieser ursprünglichen Grade wieder in unsere Arbeiten aufgenommen, die in anderen modernen Ägyptischen Riten der Freimaurerei im Laufe der Zeit oft verlorengegangen sind, bspw. durch die (oft guten und wegweisenden) Reformen von Br. Marconis de Nègre (Ritus von Memphis), von Br. Harry J. Seymour (eine Schlüsselfigur in der Verbreitung des Ritus in den USA), von Br. John Yarker (vereinigte Riten) oder von Br. Robert Ambelain (ab 1960 in Frankreich).

Das Arcana Arcanorum (1813/1816)

Am 20. November 1816 legen Br. François Joly, Br. Armand Gaborria und Br. Francisco Garcia dem Grand Orient in Frankreich die höchsten Grade des Ritus vor, in die sie 1813 in Neapel aufgenommen worden sind. Hierbei handelt es sich in der Struktur bereits um das heute als 87°-90° zelebrierte Arcana Arcanorum (die Leiter von Neapel). Für uns ist dies noch heute das initiatorische Kernstück unseres Ordens, voll poetische Sprache und tiefer Symbolik aus Neuplatonismus, Hermetik und Kabbala.

77. und damals höchster Grad aus dem Gaborria-Bestand, Ms 370
(Deckblatt des 77. und damals höchsten Grades, der dem Grand Orient vorgelegt worden ist; Manuskript 370 aus dem Gaborria-Bestand der Bibliothek Alençon.)

Vuillaume: Tuileur de tous les rites de maçonnerie, 1820
(Illustration aus Vuillaume, C. A.: Tuileur de tous les rites de maçonnerie pratiqués en France, 1820. Erste Übersetzung ins Deutsche bereits 1821.)

Ritus von Memphis (1838, Frankreich)

Ab ca. 1834 beginnt Br. Jacques Étienne Marconis de Nègre, ursprünglich Mitglied im Ritus von Misraim, mit seinen Reformen, die eine verstärkte Einführung vorhandener Grade und Ideen aus anderen französischen Systemen betreffen, bspw. die Einführung von Templer-, Rosenkreuzer- und pythagoreischer Symbolik, aber auch Begriffe universalistischer Religiosität. Hieraus entsteht 1838 der Ritus von Memphis, benannt nach der einstigen Hauptstadt Ägyptens.

Memphis-Misraim (ab 1881, Italien)

1881 erfolgt die Vereinigung beider Riten unter der symbolischen Leitung von Br. Giuseppe Garibaldi. Federführend bei den Reformen wirkt Br. John Yarker.

Br. John Yarker, 1888
(Foto von Br. John Yarker, 1888.)




Unsere Überzeugung

Unsere Loge zelebriert die vereinigten Riten der Ägyptischen Freimaurereien. Wir verbinden sie dabei mit Erkenntnissen aus der neueren Ägyptologie und der Mysterienforschung (bspw. die Einsichten von Jan Assmann), um den Zugriff auf Teile der Symbolik zu erleichtern. Dabei achten wir auf die Bewahrung möglichst vieler ursprünglicher Kernelemente.

Wir arbeiten in einem völlig demokratischen Ansatz ohne Hierophanie auf Lebenszeit. In der Verwaltung nutzen wir lediglich den 95° als symbolische Bewahrerinnen und Bewahrer der Lehre.

Die Werte der Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit sind für all unsere Arbeiten zentral und wesentlich.

Bijou der Loge Pyramidion, Ölgemädlde


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